Interview mit Sopranistin Ana Durlovski - "Wir sind keine Maschinen"

Als Bellinis "Nachtwandlerin" erhielt sie den Theaterpreis "Faust". Sie gastiert an den größten Häusern, hält aber der Oper Stuttgart die Treue: Jetzt singt Sopranistin Ana Durlovski die Gilda in "Rigoletto".

Haben Sie Lampenfieber vor einer großen Premiere?

ANA DURLOVSKI: Schon, aber ich freue mich außerordentlich auf die "Rigoletto"-Premiere. Das ist eine Oper, die aus musikalischen Highlights besteht. Aber man darf das Werk nicht unterschätzen.

Sie gastieren weltweit, gehören aber nach wie vor dem Ensemble der Oper Stuttgart an.

DURLOVSKI: Hier fühle ich mich wohl, habe alles, was ich brauche - ich bin auch kein großer Fan des Fliegens (lacht). Ich möchte Beruf und Familie verbinden.

Wer auf diesem Weltklasse-Niveau singt, steht unter Erwartungsdruck.

DURLOVSKI: Sicher, aber Sänger sind keine Maschinen. Dass der Erwartungsdruck steigt, muss man akzeptieren. Wer jeden Tag dagegen ankämpft, hat es schwer.

Ihr Mann ist auch Sänger - wie funktioniert eine Musiker-Ehe, kritisieren Sie sich gegenseitig?

DURLOVSKI: Ich glaube, ich bin der größere Kritiker. Mein Mann ist Bass, und Bässe sehen immer alles ein bisschen lockerer. Ein Tenor wäre vielleicht viel anstrengender (lacht). Ich bin auch pingeliger, dafür hat mein Mann die Ruhe weg - ich nicht.

Wie geht das überhaupt alles als Mutter von drei kleinen Kindern?

DURLOVSKI: Eben weil ich in einem festen Ensemble arbeite. Vergangenes Jahr war ich zwei Monate lang an der Metropolitan Opera engagiert, als Königin der Nacht in der "Zauberflöte". Bis dahin hatte ich es immer geschafft, die Kinder mitzunehmen, in New York aber war ich alleine - und es war eine emotionale Katastrophe.

"Rigoletto" ist auch eine Oper über gnadenlose Elternliebe - der Vater sperrt seine Tochter Gilda weg, will sie schützen.


DURLOVSKI: Rigoletto ist von seinen Idealen und von der Revolution besessen und erzieht auch Gilda in diesem Sinne. Dadurch gibt es in seinem Leben kaum Platz für Vaterliebe, und am Ende wird Gilda zum Opfer, zum Kollateralschaden seines Fanatismus'.

Was ist Gilda für ein Mensch?

DURLOVSKI: Ein pubertierendes Mädchen. In unserer Inszenierung wächst sie wie ein Junge auf, mag keine Mädchenkleider, liest viele Bücher - aber mit 15 Jahren spielen die Hormone dann eine große Rolle, der Körper verändert sich. Gilda trifft einen gutaussehenden Mann, sie hat Schmetterlinge im Bauch, will ihr eigenes Leben leben. Natürlich opfert sie sich auch für die Liebe, aber eigentlich ist sie rebellisch gegen den Vater. Ich kenne das, diese Pubertät: Das ist wie eine höhere Macht. Man will brav sein, aber man schafft das nicht, niemand versteht einen, du hast keine Kontrolle über dich.

Was bedeutet die Partie der Gilda für Ihre Stimme?

DURLOVSKI: Das ist eine komplexe, aber im Grunde lyrische Partie. Man kann sie mit einem leichten Sopran besetzen, aber Verdis Orchester tönt heftiger, dichter als bei Bellini. Man muss eine erwachsene Stimme haben: mit Volumen.

Bereits mit 21 Jahren haben Sie am Opernhaus in Skopje, in Ihrer Heimat Mazedonien, als Lucia di Lammermoor debütiert.

DURLOVSKI: Naja, ich weiß nicht, ob ich darauf stolz sein soll. Ich war noch sehr jung. Um glaubhaft als Lucia auf der Bühne zu stehen, muss man Lebenserfahrung besitzen. Oper muss ein Gesamtpaket sein: musikalisch, szenisch.

Sie sind gewiss die berühmteste mazedonische Sängerin?

DURLOVSKI: Als Opernsängerin eine Lokalheldin zu sein, das ist sicher wunderbar in einem Land ohne lange Tradition im Musiktheater. Diese Begeisterung stimmt mich zuversichtlich, dass viele junge Sängerinnen und Sänger aus Mazedonien ihren Weg finden werden. Ich könnte mir vielleicht vorstellen, später in einer Leitungsfunktion dort Einfluss zu nehmen auf die Oper, um nicht zuletzt das Repertoire zu erweitern.

Sie selbst singen ja nicht nur Belcanto, sondern auch Richard Strauss - etwa die Sophie im "Rosenkavalier". Was kommt da noch?

DURLOVSKI: Auch etwas Wagner. Den Waldvogel im "Siegfried" singe ich nächstes Jahr bei den Bayreuther Festspielen. Auf dieses Erlebnis freue ich mich schon wahnsinnig.

Sie bereiten sich sehr intensiv auf Ihre Partien vor?

DURLOVSKI: Wenn man sich die Partie musikalisch erarbeitet, sie technisch geputzt hat, dann hört es noch lange nicht auf. Wie stelle ich mir nach gründlichem Text-Studium diese Figur vor - und was sagt der Regisseur? Jossi Wieler und Sergio Morabito finden immer spannende Antworten: Die Figuren haben ein früheres Leben und auch eine Zukunft, man lernt sie nicht nur innerhalb des Lebenszeitraums kennen, den man in der Oper sieht. Ich habe dann das Gefühl, dass ich in ein anderes Leben eintrete.

Vergessen Sie auf der Bühne komplett den Alltag?

DURLOVSKI: Ja, dank dieser vielen Informationen über die Partie. Am Ende bin ich auf der Bühne ein ganz anderer Mensch. Dann wird aus Ana eben Gilda.

Wie halten Sie es mit dem Realismus in dieser Verdi-Oper - Gilda singt ja auch noch im Tod weiter?

DURLOVSKI: Da gibt's noch andere Szenen, etwa das Duett mit dem Herzog: "Addio, addio, addio . . ." Dieser Abschied dauert musikalisch viel länger als im echten Leben. Aber ich verstehe das als einen gedehnten Augenblick. Das sind Gefühle in Slow-Motion.

Zusatzinfo
Zur Person Ana Durlovski, 1978 in Mazedonien geboren, debütierte 2006 als Königin der Nacht an der Wiener Staatsoper, seit 2011 gehört sie zum Ensemble der Oper Stuttgart. Sie glänzte dort als Amina in Bellinis "Nachtwandlerin" und sang in dieser Spielzeit unter anderem die Titelpartie in Jommellis "Berenike, Königin von Armenien" sowie die Sophie im "Rosenkavalier" von Richard Strauss. In der kommenden Saison wird Ana Durlovski als Olympia in "Hoffmanns Erzählungen" und als Elvira in "Die Puritaner" zu erleben sein (ihr Ehemann Igor singt den Lord Gualtiero). 
Premiere Jetzt am Sonntag, 18 Uhr, hat die Sopranistin als Gilda in Giuseppe Verdis "Rigoletto" an der Oper Stuttgart Premiere. Die Neuinszenierung dirigiert Sylvain Cambreling. Intendant Jossi Wieler und Sergio Morabito führen Regie. Weitere Aufführungen am 1., 6., ,10., 15., 18. Juli.




Beliebte Posts