Das achte Weltwunder - Jordan Plevnes lässt seinen gefallenen Helden träumen von der “Wiege der Welt”

Mazedonien war mal ein Weltreich. Lang ist das her. Da hieß der König Alexander der Große, kam bis nach Indien, besetzte Persien, Baktrien, Gaza, Ägypten, gründete über 70 Städte mit seinem Namen. Das heutige Alexandria in Ägypten ist das berühmteste davon. Heute sucht man Mazedonien mit der Lupe auf der Landkarte. Und die mazedonische Literatur ebenso. Jetzt taucht das Ländchen im Programm des Leipziger Literaturverlages auf.

Natürlich ist auch diese 130-Seiten-Geschichte kein Roman. Mit den Klassifikationen ist das ja nicht so einfach, erst recht, wenn einer – wie Plevnes – eher in den Randbereichen der Literatur unterwegs ist. “Spiritueller Idealismus” nennt es der Verlag, was im Kopf dieses Mannes vor sich geht. Stimmt wohl auch nicht. Aber auch die Formel vom “magischen Realismus” fällt. Man merkt: Da war man sich in der Leipziger Brockhausstraße gar nicht so einig, wo man den 1953 in Mazedonien Geborenen eigentlich verorten soll, der seit 1988 in Paris lebt, auch mal Botschafter für die Republik Mazedonien war und seit 2007 Rektor der privaten Universität der Audiovisuellen Künste (ESRA) ist. Übersetzt ins Deutsche hat ihn – das kommt vor in “Alexanders neuen Welten” (um mal einen Buchtitel von Fritz Rudolf Fries zu zitieren) – ein Australier: Will Dirth, der in Canberra, Zagreb und Moskau studiert hat und heute in Berlin lebt.


Was neue Rätsel aufgibt. Ein paar davon hat Will Firth als Anmerkungen am Ende des Buches gesammelt. Eines dieser Rätsel ist: Wie übersetzt man eigentlich dieses komische Wort Gefallener ins Deutsche, wo es so schrecklich vieldeutig und doppelbödig klingt. Denn eines wollte er ja nicht – wollte vielleicht auch Plevnes nicht: dass der Leser, wenn wieder von Alexander Simsar als Gefallenem die Rede ist, an die Toten im Krieg denkt. Denn darum geht es nicht.

Oder doch?

Auch Mazedonien hat seine jüngere Kriegsgeschichte. Und der Begriff Gefallener kam ja auch in Deutschland auf, um die ganze Tragik eines Todes in Dreck, Blut und Grauen des Krieges zu verklären. Wenn einer gefallen ist, klingt das ja nicht so schlimm wie: Er wurde von einer Granate zerfetzt, von einer MG-Salve durchlöchert, von einem Schrapnell aufgeweidet, verbrannt, erstickt, niedergestochen und was derlei Dinge mehr sind, die den kleinen Alexanders zustoßen, wenn sie für einen großen Alexander ins Gemetzel geschickt werden.

Im deutschen Wort Gefallenen steckt auch eine ganze Menge anderer Assoziationen: man kann in Ungnade fallen oder – ein Topos, mit dem Plevnes auf jeden Fall spielt – in Sünde fallen. Oder jemandem verfallen oder gar einer Sache verfallen. Auch das spielt in dieser Geschichte eine Rolle, die nun einmal von der Konstruktion her eine Novelle ist.

Der Begriff Gefallener klingt im Deutschen nicht ohne Grund auch nach einem anderen Gefallenen: Luzifer. Und indem Firth diese Assoziation vermeidet (die deutsche Sprache kann einem ja manchmal schon ein bisschen Bange machen), vergibt er sich auch eine andere, für dieses Buch grundlegende Assoziation. Denn der Gefallene aus der Bibel spielt natürlich eine Hauptrolle in diesem Buch. Er ist der große Gegenspieler von Alexander Simsar, dessen Geschichte im Jahr 1989 beginnt, kurz nach dem Fall der Berliner Mauer, als er bei Bauarbeiten an der Gedächtniskirche in Berlin aus 53 Meter Höhe abstürzt. Und überlebt.

So wird er zumindest in dieser Geschichte zum Gefallenen, zum erstaunlichen Fall für die Ärzte, zum glücklichen Heimkehrer in die Heimat. Und zum Vollender eines Traumes: einem gewaltigen Monument, das die Menschheit versöhnen soll, der “Wiege der Menschheit”, die er am Ohridsee (zumindest die Seen Mazedoniens sind ja weltberühmt) errichten will. Die Geschichte erzählt von der Erfüllung seines Traumes. Aber auch auf traumhafte Weise. Leser werden sich wohl da und dort eher an Borges oder an die phantastische Literatur um 1900 erinnert fühlen – Meyrink zum Beispiel oder auch den osteuropäischen Symbolismus (Lesetipp: Brjussow oder Sologub). Phantastisches Erzählen galt damals tatsächlich noch auch als Spiel mit märchenhaften Elementen. Und der Teufel persönlich durfte auch auftauchen, gern als großer Weltverwirrer.

Und genau in der Funktion taucht er auch bei Plevnes auf. Der Name, mit dem sich diese geisterhafte weiße Gestalt bei ihm vorstellt, lautet: Satanael Devil Seytan Teuffel Hudic Diabolus Gurbernator Mundi (so ein bisschen Dostojewski und Bulgakow darf auch ruhig anklingen). Und er macht dem euphorisch träumenden Simsar schnell klar, dass immer noch einer mitspielt, wenn es um die Errettung der Welt geht. Denn alles hat seinen Preis. Und wer Geschäfte machen will in der Welt, den stört eine allgemeine Völkerverständigung natürlich. Denn die großen Geschäfte, die die Satanaels der Gegenwart machen, beruhen alle auf Konflikten, menschlicher Zwietracht, Bosheit, Gier und Rücksichstlosigkeit. Deswegen wirkt Simsars nervender Gegenspieler auch eher wie ein verbissener Anwalt der Mächtigen und Reichen, dem Simsars menschenfreundliches Tun gegen den simpelsten Geschäftskodex verstößt.

Doch Simsar, der sein Leben lang immer neue Pläne für sein großes Denkmal ersponnen hat, lässt sich nicht beirren, scheint das Auftauchen des bleichen Warners sogar regelrecht zu vergessen, während er sich von seinen Träumen und Visionen forttragen lässt. Der Leser, der eben noch den Eindruck haben konnte, die Geschichte hätte sich mit dem glücklich überlebten Sturz in Berlin tatsächlich so zutragen können, wird einfach mit fortgetragen in eine Kette immer phantastischerer Szenen, in denen Simsar scheinbar den Traum seines Lebens verwirklicht. Ein Traum, der – je mehr er sich der Vollendung nähert – immer mehr dem Traum Fausts ähnelt, der am Ende seiner phantastischen Reise glaubt, ein gewaltiger Bau würde sein Leben krönen. Doch auch ihm sitzt ja bekanntlich Mephisto im Nacken. Träumen darf man. Aber ist nicht auch der Traum einer Weltenversöhnung, wie Simsar ihn träumt, eine Illusion? Ein Unmögliches in einer Welt, in der die Anwälte der Firma Satanael ihre Unterlassungsverfügungen, Mahnungen und Rechnungen schicken, noch ehe auch nur der erste Spatenstich getan ist?

Man darf mit Alexander Simsar 130 Seiten lang träumen. Es ist auch ein großer mazedonischer Traum – endlich wieder die Aufmerksamkeit der Welt auf dieses kleine Land zu lenken, von dem die eine Hälfte zur Republik Mazedonien gehört, die andere zu Griechenland. Und der Bauplatz mit Blick auf Ohrid- und Prespasee ist bestimmt einer der schönsten, die man sich für die “Wiege der Welt” vorstellen kann, in der Simsar auch das Gute und das Böse versöhnen will, diesen immer klaffenden Widerspruch in der Seele der Menschen. Denn ohne die finsteren Mörder und Diktatoren aller Herren Länder ist Menschheitsgeschichte ja nicht denkbar. Jedes Volk kennt sie. Und kann sie in die Säulen von Simsars Denkmal meißeln.

Aber auch das behagt dem eiskalten Satanael nicht. Und so kommt es eigentlich, wie man es schon ahnt die ganze Zeit. Wie jeder Traum endet. Und am Ende hat man wohl zu recht das dumme Gefühl, dass die Herren Satanel & Co. schon längst ihre Rechnungen geschrieben haben, ehe einer wie Alexander Simsar auch nur begonnen hat zu träumen. So betrachtet – auch eine traumhafte, aber auch bittere Bestandsaufnahme über den Zustand der Welt. Da geht es den Träumern in Mazedonien nicht anders als denen in Paris oder Berlin.

Jordan Plevnes “Das achte Weltwunder”, Leipziger Literaturverlag, Leipzig 2015, 16,95 Euro



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